Fotografin Ursula Mindermann und ihr Engagement als DPG-Vizepräsidentin

Streetart in Bethlehem, Teil 2

Fotografin, Diplom-Ingenieurin, Grünen-Lokalpolitikerin, Vizepräsidentin der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und Mitgründerin des Graffiti-Stores „Shop Behind The Wall“ in Bethlehem: Ursula Mindermann engagiert sich auf vielerlei Ebenen und polarisiert durch ihre interkulturelle Schaffenskraft. Im Gespräch mit mir berichtete die 58-Jährige, wie sie zur Geschäftspartnerin von Moodie Abdalla wurde und warum sie aufgrund ihres Engagements heute nicht mehr nach Israel einreisen darf.

Ursula Mindermann (Mitte) mit Moodie Abdalla (rechts) und dem Vermieter vor ihrem Laden „Shop Behind The Wall“ in Bethlehem

Mit Anfang 20 bereiste Ursula Mindermann Israel und Palästina das erste Mal. Sie war sofort fasziniert von den kulturellen Eindrücken, die sich ihr boten. Als sie deshalb 2014 mit ihren beiden Töchtern ein weiteres Mal einreiste, stand da plötzlich eine 759 km lange Mauer zwischen den israelischen Gebieten und dem palästinensischen Westjordanland. Schockiert über den Betonvorhang, lernte sie kurz darauf den Streetartist Moodie Abdalla aus Bethlehem kennen, der sie über sein Leben unter Besatzung aufzuklären begann. Der Startschuss für Ursulas ehrenamtliches Engagement und das Interesse an Graffiti.

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Eine Fotografie von Ursula Mindermann

Ich wollte vor allem verstehen, was da los ist und warum 2002 eine Mauer errichtet wurde.

Ursula Mindermann

Ursula Mindermann: Deshalb bin ich immer wieder ins Grenzgebiet und durch Palästina gereist und habe mich mit den Menschen vor Ort unterhalten. Die Willkür über die Sperranlage und der daraus resultierende Alltag der Betroffenen haben mich ziemlich bewegt. Deshalb begann ich mich mit ansässigen Organisationen zu treffen und suchte mir Projekte, die den Menschen helfen, sich selbst zu helfen.

Eines dieser Projekte ist der Graffiti-Store „Shop Behind The Wall“ in Bethlehem, den Ursula 2017 mit Moodi Abdalla gründete. Ein Laden, der Streetart-Bilder und Merchandise von berühmten wie unbekannten Mauer-Künstlern verkauft, aber auch lokale Produkte wie Seifen und Schmuck. Seit der Pandemie ist das Geschäft am Checkpoint geschlossen, weshalb sich Ursula und Moodi nun auf mögliche Alternativen konzentrieren.

Ursula Mindermann: Moodi kümmert sich normalerweise um den Laden vor Ort und ich übernehme das Marketing von Deutschland aus. Durch Corona liegt die Wirtschaft in Bethlehem aber gerade brach und wir versuchen nun, durch den Aufbau eines Onlineshops zu helfen.

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„Alice in Wonderland“, ein Graffiti von Taqi Spateen

Make Hummus Not Walls

Während der Besuche in Palästina hielt Ursula ihre Mauer-Eindrücke fotografisch fest. So entstanden Aufnahmen, die sie seit 2017 regelmäßig in Ausstellungen zeigt. So auch im Sommer 2020 in einem Jenaer Café. Aufgrund von Anfeindungen und Antisemitismus-Vorwürfen wurde die Eröffnung jedoch vorzeitig abgesagt.

Ursula Mindermann: Mir geht es bei meinem Engagement für Palästina um die Menschen, die unter Besatzung leben. Wer sich für die Menschen in Palästina einsetzt, ist keine Antisemitin. Dieser Vorwurf hat mich wirklich hart getroffen. Eines der Fotos zeigte das Graffiti „Make Hummus Not Walls“ von Moodi. Direkt darüber hatte allerdings jemand einen bekannten palästinensischen Schlachtruf hinterlassen. Einer, der Israel aktiv angreift. Und der wurde mir bei der Ausstellung zum Verhängnis. Ich möchte mit meinen Bildern nur das Leben und künstlerische Schaffen vor Ort dokumentieren. Es geht mir dabei nicht um politische Meinungsmache, sondern um die Menschen. Ich habe den Aktivisten in Jena damals eine öffentliche Diskussionsveranstaltung angeboten. Darauf wurde aber leider nicht eingegangen.

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„From the river to the sea, Palestine will be free“. Dieses Zitat im oberen Bereich des Bildes war der Anlass für die Falken in Jena die Ausstellung als antisemitisch zu kritisieren

Kunst an der Westbank

Mit ungerechten Vorwürfen konfrontiert sieht sich Ursula auch vom Staat Israel. Als sie 2019 erneut das Land besuchen wollte, verweigerte man ihr kurzerhand die Einreise.

Ursula Mindermann: Ich wurde am Flughafen in Israel abgepasst und verhört. Man bezweifelte den Zweck meiner Reise und warf mir illegale Einwanderung vor. Ich empfinde das als haltlos, schließlich habe ich Familie, Haus und ein eigenes Geschäft in meiner deutschen Heimat Telgte. Ich wollte einfach, wie schon viele Male zuvor auch, als Touristin einreisen. Und weil ich sowohl Israel als auch Palästina einfach faszinierend finde. Nun darf ich bis auf Weiteres nicht mehr ins Land. Ich respektiere diese Entscheidung. Aber traurig macht es mich natürlich trotzdem sehr.

Während Ursula selbst nicht mehr vor Ort sein darf, sind es ihre Fotografien umso mehr. In Kooperation mit der Organisation „Network of Photographers for Palestine“ entstand die Ausstellung „art of the wall“, die 2020 die Vielfalt der palästinensischen Streetart in Verbindung zur Besatzung aufzeigte und an der sich verschiedene Fotograf*innen beteiligten. Darunter auch Ursula. Zu sehen war die Ausstellung an der Mauer in Bethlehem. Virtuell kann sie auch heute noch auf der Online-Plattform Kunstmatrix besucht werden.

 Schablonenkunst von Cake Stencils, einem unbekannt bleibenden Künstler aus Bethlehem

Fötus, umgeben von Stacheldraht

Gut zu wissen

Neben ihren Streetart-Projekten und Vorträgen entwickelte Ursula die Produktion und den Vertrieb nachhaltiger palästinensischer Lebensmittel mit. Darunter die Limonade „Sahber Kaktusfeige“, die von regionalen Bauern hergestellt wird und u. a. neue Arbeitsplätze schaffen soll.

Mehr über Ursula Mindermann und ihre Projekte gibt es auf ihrer Website oder auf Facebook. Den „Shop Behind The Wall“ kann man auf seiner Website und auf Facebook besuchen.

Interview und Text: Nadine Zwingel
Bilder: (c) Ursula Mindermann

Links zum Thema:

Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (Projekte)
https://dpg-netz.de/projekte-in-palaestina/

Network of Photographers for Palestine
http://nppalestine.org/
https://artspaces.kunstmatrix.com/en/exhibition/2875707/the-art-of-the-wall

Der Shop in Bethlehem
https://shopbehindthewall.com/
https://www.facebook.com/Shop-behind-the-wall-624979941029058

Vertrieb von Produkten aus Palästina und vom „Shop Behind The Wall“
https://nabalifairkost.com/

„Sahber“, die Limonade mit Kaktusfeige
http://www.nabalifairkost.com/sahber
https://www.facebook.com/Sahber-Kaktusfeigengetr%C3%A4nk-449842035457944

Video zum berühmten palästinensischen Graffiti-Künstler Taqi Spateen
https://youtu.be/Y7DThxjVZ28

Art of the Wall, die letzte Ausstellung des Network of Photographers for Palestine: Diese Ausstellung wurde nicht nur im Netz, sondern auch auf Plakaten an der Mauer in Bethlehem, direkt gegenüber des Shops aufgehängt.

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