Mina Esfandiari
Die deutsche Fotografin – und inzwischen auch leidenschaftliche Radfahrerin – Mina Esfandiari über das Ergründen der eigenen Wurzeln, die Liebe zur Langsamkeit und warum Deutschland viel herzlicher ist, als sein Image.
Mina Esfandiari, Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters, wuchs in Hamburg auf und bezeichnet sich selbst als „eher typisch deutsch“. Doch je älter sie wurde, desto mehr Interesse entwickelte sie auch für ihre iranische Seite. Deshalb begab sich Mina 2014 mit dem deutschen Autor Stephan Orth auf eine Reise ins „Land der Gegensätze“, um ihn dort bei seinem Buchprojekt fotografisch zu begleiten. Kurz darauf erschien der Bestseller „Couchsurfing im Iran“ im Piper Verlag. 2019 erhielt sie außerdem den ITB Buch Award für ihren National Geographic Bildband „Iran – Tausend und ein Widerspruch“. Doch nicht nur dem Ruf ihrer iranischen Wurzeln folgte sie auf eine Erkundungstour.
Mit uns sprach Mina über ihr neuestes Buch- und Fotoprojekt „Von B nach B – Begegnungen auf dem Radweg Deutsche Einheit“, und welche überraschenden Erkenntnisse sie dabei über ihre Heimat Deutschland erhielt.

Mina Esfandiari, Fotografin und leidenschaftliche Radfahrerin mit iranischen Wurzeln
Ich wollte unbedingt ein Fortbewegungsmittel, das einen klaren Blick auf die Umgebung zulässt
M2G: Mina, schön, dass es endlich geklappt hat. Es ist gerade richtig schwer, dich für ein Gespräch zu erwischen, denn du steckst mitten in deinem neuen Buchprojekt. „Von B nach B – Begegnungen auf dem Radweg Deutsche Einheit“ ist pünktlich am 3. Oktober, also zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit, erschienen. Was hat dich eigentlich dazu veranlasst, in 30 Tagen um die 1.288 Kilometer durch Deutschland zu radeln?
Mina (lächelt): Danke, ich freu mich auch. Wer meine Arbeiten ein bisschen verfolgt, wird schnell merken, dass ich mich die letzten Jahre viel mit meiner iranischen Seite beschäftigt habe. Mein Vater ist ja Iraner und – obwohl ich in Deutschland geboren bin – hat mich meine orientalische Seite natürlich wahnsinnig interessiert. Es erschienen dann zwei Bücher über meine Eindrücke im Iran. Dieselbe Aufmerksamkeit wollte ich allerdings auch dem Land schenken, in dem ich geboren, aufgewachsen und sozialisiert bin. Ich bin dann nämlich schon eher typisch deutsch, glaube ich. (lacht)
M2G: Also kamst du 2019 auf die Idee, den gesamten Radweg der Deutschen Einheit entlang zu fahren?
Mina: Genau. Ich bin zuvor schon zweimal in den Genuss einer längeren Tour gekommen. Einmal von Berlin nach Hamburg und einmal bis Kopenhagen. Ich wollte unbedingt ein Fortbewegungsmittel, das einen klaren Blick auf die Umgebung zulässt. Die Langsamkeit schärft einfach den Blick für Details und ich habe sie richtig liebgewonnen. Die 30 Tage, die ich mir als Zeitraum für die Tour gesetzt hatte, waren quasi symbolisch für das 30-jährige Jubiläum zur Deutschen Einheit im Oktober.

An der Grenze Eckertal-Stapelburg: Hier waren Deutschland und Europa bis zum 11. November 1989 um 16 Uhr geteilt.

Mina mit Melanie, ihrer Couchsurfing Gastgeberin in Koblenz
Mein Körper musste sich erst mal daran gewöhnen, täglich in Bewegung zu sein
M2G: Du hast währenddessen auch ein Videotagebuch für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geführt, u.a. mit vielen Einheimischen gesprochen, die du unterwegs getroffen hast und natürlich eine Menge Fotos geschossen. War das nicht irre anstrengend? Und blieb da überhaupt Zeit für ein wenig Entspannung zwischendurch?
Mina: Jein. Die Tage waren natürlich schon ziemlich eng getaktet und auf mich wartete ein echt straffes Programm. Aber ich habe mir ein paar Tage Puffer eingeplant, an denen ich dann Zeit hatte für spontane Ausflüge oder auch ein bisschen Erholung. Schließlich musste mein Körper sich auch erstmal damit arrangieren, dass er jetzt täglich in Bewegung sein sollte. (lacht)
M2G: Welche spontanen Ausflüge zum Beispiel?
Mina: Bei meiner Tour machte ich Halt in 27 verschiedenen Orten. Dort führte ich dann Interviews mit der Lokalpresse oder besuchte Kneipen und Restaurants, wo ich vielen Einheimischen begegnete. So kamen wunderbare Gespräche zustande – und eben auch Ausflüge. Ein Lokalredakteur in Bad Hersfeld zum Beispiel nahm sich extra zwei Tage Zeit, um mich zum dortigen ehemaligen US-Stützpunkt Point Alpha zu führen. Heute ist der Stützpunkt Grenzmuseum und Gedenkstätte in einem. Außerdem nahm er mich auch mit auf die Bad Hersfelder Festspiele, wo er mir die Schauspieler vorstellte und ich die Premiere von „Emil und die Detektive“ zu sehen bekam.

Am Point Alpha

Gedenkstätte am Point Alpha
Ich erlebte ein Deutschland, das so gar nicht seinem Image entspricht
M2G: Wow, das klingt aufregend. Wo hast du währenddessen eigentlich immer Unterschlupf gefunden?
Mina: Ich hatte ein Zelt dabei. Oft habe ich aber auch die Online-Plattform „Couchsurfing“ genutzt und in den privaten Wohnungen von echten „Locals“ geschlafen. Ein anderes Mal wiederum ging es dann, ganz „luxuriös“, in eine Radpension. Während dieser Zeit „vor Ort“ wollte ich vor allem die Stimmungen zwischen Menschen im Osten und Westen Deutschlands einfangen und Antworten finden auf verschiedene Fragen: Was eint uns? Was teilt uns? Wie erleben das die jeweiligen Menschen vor Ort? Und wie erlebe ich selbst meine Heimat? Anhand dieser Fragen kam ich auch immer schnell ins Gespräch und erlebte ein Deutschland, das so gar nicht seinem Image entspricht.
M2G: Was meinst du damit genau?
Mina: Ich war überwältigt von der Gastfreundschaft, Offenheit und Herzlichkeit, der ich ständig und überall begegnete. So viele boten mir einen Schlafplatz an oder luden mich zum Essen ein. Normalerweise verbindet man ja immer eher eine höfliche Reserviertheit mit den Deutschen. Davon war allerdings rein gar nichts zu spüren. Als ich zum Beispiel in Schwalmstadt ins Hotel wollte, war das bereits ausgebucht. Einen Campingplatz gab es nicht und es wurde bereits dunkel draußen. Die Hotelbesitzerin gab mir dann einfach ihren Schlüssel und erlaubte mir, mein Zelt in ihrem Garten aufzustellen. Ich war total baff über so viel Vertrauen und Hilfe. Aber auch sonst begegnete ich einfach unglaublich vielen Menschen, die mir ihre Geschichten anvertrauten. Einige davon sind dann ja auch im Buch zu lesen.

Zelt oder Couch waren Minas hauptsächliche Schlafstätten

Die Langsamkeit der Fortbewegung schärft den Blick
Einzelne Zwischentöne sind viel interessanter als konkrete Antworten
M2G: Du sagst, du wolltest vor allem auch die Atmosphäre zwischen Ost und West erleben. Hast du dabei denn Antworten auf deine Fragen gefunden?
Mina: Ehrlich? Nein (lacht). Das ist aber auch okay so. Ich habe mit dieser Reise eine einmalige Erfahrung gewonnen und dabei unzählige persönliche Geschichten und Schicksale gehört. Diese einzelnen Zwischentöne sind viel interessanter, als konkrete Antworten auf Fragen, die einfach zu komplex sind. Ich bin jetzt weder Deutschlandexpertin, noch Politologin. Das Ganze war eine Sammlung an Erfahrungen und ich wollte – gerade als Frau mit iranischen Wurzeln – herausfinden, wie man mir begegnen wird. In Zeiten, in denen es Parteien wie die Afd in den Bundestag schaffen, und sich meine Heimat gespaltener denn je anfühlt, wurde ich positiv überrascht. Das macht mich richtig glücklich.
M2G: Mina, wir freuen uns sehr über dein neues Buch und die Geschichten darin. Vielen Dank für deine Zeit und dieses wunderbare Gespräch. Verrätst du mir zum Schluss vielleicht noch, was du als Nächstes vorhast?
Mina: Also, wenn das Buchprojekt komplett abgeschlossen ist, lehne ich mich erstmal etwas zurück. Ansonsten hat mich jetzt das Fahrradfieber gepackt und in mir reift tatsächlich der Gedanke, damit vielleicht mal nach Teheran zu radeln. (lacht)
M2G: Danke Dir für das Gespräch.
Mehr Bilder, Infos und Videos zu Minas Fahrradtour von Bonn nach Berlin gibt es in ihrem virtuellen Reiseblog unter
tinyurl.com/radwegdeutscheeinheit.
Die Wanderausstellung, die zum Erscheinen des Buchs geplant war, wurde leider coronabedingt auf ein unbestimmtes Datum verschoben.
Mehr zu Mina Esfandiari gibt es auf ihrer Website oder auf Instagram und Facebook.
Infos zum “Radweg Deutsche Einheit” gibt es unter www.radweg-deutsche-einheit.de
Interview und Text: Nadine Zwingel
Bilder: (c) Mina Esfandiari

Von B nach B - Begegnungen auf dem Radweg Deutsche Einheit
30 Tage und mehr als 1.200 km war Mina Esfandiari mit dem Fahrrad von Bonn nach Berlin unterwegs.
Wir haben ihren reich bebilderten Reisebericht “Von B nach B – Begegnungen auf dem Radweg Deutsche Einheit” aus dem Verlag CAPYBARABOOKS verlost.
Gewinnerin ist carogredler.
Viel Spaß beim Lesen und Danke an alle Teilnehmer*innen fürs Mitmachen!