Alexander Gilman: So bereitet man den Musiknachwuchs auf seine Solistenkarriere vor
Profi-Geiger und Gastprofessor am Royal College of Music Alexander Gilman über die Gründung des internationalen Nachwuchs-Ensembles LGT Young Soloists und warum gerade während der Pandemie den jungen Talenten eine Plattform geboten werden sollte.
2013 gründete Violinist Alexander Gilman gemeinsam mit Pianistin Marina Seltenreich das Jugendorchester LGT Young Soloists. Ein erfolgreiches musikalisches Förderprojekt, das internationale Ausnahmetalente zwischen zwölf bis 21 Jahren auf ihre Solistenkarrieren vorbereitet und sie darüber hinaus begleitet. Während der Proben entstehen nicht nur Karrieren, sondern auch Weltpremiere-Aufnahmen von herausragenden Werken. Zuletzt erschien „Beethoven recomposed“. Eine CD, die das Ensemble zur Feier des Beethoven-Jahres veröffentlichte. Mit mir sprach Alexander über sein persönliches Bestreben und was der Weg zum Profi-Musiker wirklich bedeutet.

Alexander Gilman, einer der beiden Gründer von LGT Young Soloists © Maurice Haas
M2G: Alexander, du bist als musikalisches Wunderkind in einer russisch-jüdischen Familie in Bamberg aufgewachsen und gabst bereits mit sieben Jahren dein Konzertdebüt. Waren es deine eigenen Erfahrungen, die dich heute dazu verleiten, vor allem Nachwuchstalente zu unterstützen?
Alexander: Mir war schon ziemlich früh klar, was ich beruflich werden wollte und ich habe deshalb sehr viel geübt und an mir gearbeitet. Daher kenne ich auch die Hürden nur zu gut, die junge Solisten überwinden müssen, um später einmal erfolgreich zu werden. Um Berufsmusiker zu werden, braucht es zwei Dinge: eine ausgezeichnete Ausbildung und ganz viel Erfahrung. An Letzterem fehlt es aber oft.
Bühnenerfahrung ist das A und O
M2G: Woran liegt das?
Alexander: Nur wenige Konzertveranstalter bieten dem Nachwuchs eine Plattform. Da geht man meist lieber auf Nummer sicher und verkauft Tickets für große Namen. Dabei ist es so wichtig, dass die jungen Talente Bühnenerfahrungen sammeln können. Auftritte sind ja auch ein Motivator beim Üben. Und gerade jetzt während der Pandemie-Situation wäre es ein Leichtes, Veranstaltungen mit Nachwuchstalenten zu organisieren. Sofern Veranstaltungen überhaupt wieder möglich werden, natürlich.
M2G: Wie meinst du das?
Alexander: Das Risiko für die Veranstalter, Verluste zu machen, ist gering. Die Menschen sind so hungrig nach Musik und Kultur, die Tickets wären sowieso schnell ausverkauft. Für berühmte wie unbekannte Musiker gleichermaßen. Warum also nicht denen Auftritte verschaffen, die es sowieso schon schwer haben?
M2G: Und du verschaffst ihnen solche Auftritte. Mit den LGT Young Soloists bist du vor der Pandemie bereits regelmäßig auf Tourneen gegangen. Wie wird man Teil des Jugendorchesters?
Alexander: Wir haben ein dreistufiges Aufnahmeverfahren. Alle Bewerber zwischen zwölf und 21 Jahren schicken uns erst einmal drei Probe-Videos und ein persönliches Motivationsschreiben. Wenn wir nach dem Sichten Potenzial erkennen, laden wir sie zu Live-Auditions ein und führen persönliche Gespräche. Dabei schauen wir natürlich ganz genau hin. Was sind die Ziele der Bewerber? Wollen sie das wirklich oder sind es vielleicht eher die Träume der Eltern? Im Jahr erhalten wir oft Hunderte Bewerbungen, können aber im Schnitt nur vier bis fünf ins Orchester aufnehmen.
Vom Einzelgänger zum Teamplayer
M2G: Warum nur so wenige?
Alexander: Der Erfolg der LGT Young Soloists besteht ja vor allem deshalb, weil wir jedes Mitglied individuell fördern und ausbilden. Wird die Gruppe zu groß, können wir nicht mehr jedem so gerecht werden, wie wir das gerne möchten. Außerdem spielt auch die zwischenmenschliche Harmonie im Orchester eine Rolle. Solisten sind es ja gewohnt, isoliert zu üben und manchmal auch der alleinige Star in der Familie zu sein. Die LGT Young Soloists sind aber nun mal eine Familie mit vielen Stars. Da ist es für manche schwierig, sich vom Einzelgänger zum Teamplayer zu entwickeln. Deshalb beziehen wir auch unsere Musiker bei der Entscheidung über die Bewerber mit ein.
M2G: Was passiert, wenn ein Ensemble-Mitglied irgendwann erwachsen wird und somit vielleicht zu alt für das Förderprojekt?
Alexander (lacht): Ich sage immer, wenn jemand mit 30 Jahren immer noch „nur“ bei uns ist, dann haben wir etwas falsch gemacht. Natürlich begleiten wir unsere Musiker auch noch im Erwachsenenalter. Unser ältestes Mitglied ist bspw. 24 Jahre alt. Aber da wir sie auf das „musikalische Haifischbecken“ da draußen sehr gut vorbereiten, brauchen sie uns irgendwann einfach nicht mehr. Sie haben dann nämlich alles, was es braucht, um allein eine erfolgreiche Karriere hinzulegen.
Die Vorbereitung auf das Leben nach dem Studium
M2G: Was gehört da alles dazu? Und sind das nicht auch Faktoren, die in Musikhochschulen gelehrt werden?
Alexander: Viele Musikhochschulen sind noch sehr traditionell und klassisch aufgebaut. Es reicht heute nicht mehr, nur musikalische Grundsätze und Instrumente beherrschen zu können. Vielleicht kennst du das auch aus deiner Branche, da wird manchmal recht wenig auf das Leben nach dem Studium vorbereitet. Das kommt heute erst alles so langsam. Wir bringen den Musikern aber auch zeitgemäße Themen wie das Selbstmarketing bei. Bios schreiben, Stipendien beantragen, Websites erstellen, Social Media und, und, und. Wir stehen ihnen in allen Belangen beratend zur Seite.
M2G: Du bist selbst Gastprofessor am Royal College of Music in London und lehrst Geige. Unterrichtest du dort dann nach rein klassischen Methoden oder gibst du zusätzlich auch all dein Know-how über das Berufsmusiker-Dasein weiter?
Alexander: Natürlich versuche ich auch dort, all mein Wissen zu transportieren und mich nicht nur auf die rein musikalische Ausbildung zu beschränken. Erst vor Kurzem habe ich zum Beispiel einem Studenten gezeigt, wie man ein Anschreiben für ein Stipendium erstellt.
M2G: Alexander, vielen Dank für das tolle Gespräch.
Interview und Text: Nadine Zwingel
Bilder: (c) LGT Young Soloists, Srdan Pablo Doroški, Paul Fenkart / BFMI, Maurice Haas, Priska Ketterer

Hörgenuss von jung für alle
Zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven arrangierte Paul Struck 2020 die Cello Sonata No. 3 in A -Moll, Op. 69 sowie die Violin Sonata No. 9 in A-Moll, Op. 47 „Kreutzer“ für die CD „Beethoven recomposed“. Wir haben ein Exemplar verlost.
Die Gewinnerin ist true_life_adventure.
Viel Spaß beim Hören und allen Anderen vielen Dank fürs Mitmachen!
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